Fotografie als Meditation: Gedanken zum neuen Buch von Torsten Andreas Hoffmann: „Fotografie als Meditation: Eine Reise zur Quelle der Kreativität

DER HOLZSCHNITZER

Ein Holzschnitzer schnitzte einen Glockenständer. Als der Glockenständer fertig war, da bestaunten ihn alle Leute, die ihn sahen, als ein göttliches Werk. Der Fürst von Lu besah ihn ebenfalls und fragte den Meister: »Was habt Ihr für ein Geheimnis?« Jener erwiderte: »Ich bin ein Handwerker und kenne keine Geheimnisse, und doch, auf Eines kommt es dabei an. Als ich im Begriffe war, den Glockenständer zu machen, da hütete ich mich, meine Lebenskraft (in anderen Gedanken) zu verzehren. Ich fastete, um mein Herz zur Ruhe zu bringen. Als ich drei Tage gefastet, da wagte ich nicht mehr, an Lohn und Ehren zu denken; nach fünf Tagen wagte ich nicht mehr, an Lob und Tadel zu denken; nach sieben Tagen, da hatte ich meinen Leib und alle Glieder vergessen. Zu jener Zeit dachte ich auch nicht mehr an den Hof Eurer Hoheit. Dadurch ward ich gesammelt in meiner Kunst, und alle Betörungen der Außenwelt waren verschwunden. Darnach ging ich in den Wald und sah mir die Bäume auf ihren natürlichen Wuchs an. Als mir der rechte Baum vor Augen kam, da stand der Glockenständer fertig vor mir, so daß ich nur noch Hand anzulegen brauchte. Hätte ich den Baum nicht gefunden, so hätte ich’s aufgegeben. Weil ich so meine Natur mit der Natur des Materials zusammenwirken ließ, deshalb halten die Leute es für ein göttliches Werk.« “ (Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, Übersetzung von Richard Wilhelm, S. 203/204)

Diese Geschichte des chinesischen Weisen Dschuang Dsi (ca. 350 v. Chr.) faßt in prägnanter Weise den Inhalt des neuen Buchs von T. A. Hoffmann zusammen: Man muß nur den Holzschnitzer durch den Fotografen, den Glockenständer durch ein besonders gelungenes Foto, das Fasten durch die ZEN-Meditation, das Suchen nach dem richtigen Baum durch die Suche nach den ‚Locations‘, die dem eigenen Inneren am ehesten entsprechen, ersetzen, und schon hat man das Ziel des Buches von T. A. Hoffmann erfaßt:

Versetze dich mit Hilfe der ZEN-Mediation in einen für Fremdes und Neues aufnahmefähigen Zustand der inneren Leere und Konzentration und begib dich dann mit der Kamera an einen Ort, der mit deinem Inneren korrespondiert: Dann werden deine Fotos viel eher die Tiefe bekommen, nach der du suchst; der fotografische Prozess wird für dich wesentlich befriedigender verlaufen und kein technikfixiertes Knipsen, sondern ein wesensfixierter künstlerischer Prozess werden.

T. A. Hoffmann hat es gewagt: Inmitten einer extrem Foto-TECHNIK fixierten Gesellschaft, in der Megapixel, Schärfe, neue Kameramodelle, Firmware-Updates, Autofokus-Optionen, Kameratests etc. einen größeren Stellenwert haben als die Fotos selbst, ist er das Risiko eingegangen und hat ein Buch veröffentlicht, dass sich allein mit dem inneren Prozess des Fotografierens auseinandersetzt und eine Brücke zur ZEN-Meditation schlägt. Und dies tut er in einer klaren, verständlichen Sprache, der nichts Undurchsichtiges, Mystisches anhaftet. Mit großem Verständnis für menschliche Schwächen und dem völligen Bewußtsein des grundsätzlichen Problems, im Zeitalter der Immer-Erreichbarkeit durch Smartphones und Internet doch zu versuchen, einen Bereich der Stille und Zurückgezogenheit zu reservieren, um dadurch besser in die Welt eintauchen und ‚Decisive Moments‘ fotografisch einfangen zu können.

Torsten Andreas Hoffmann beschreibt, wie Fotografen die ZEN-Meditation als eine ganz unreligiös und undogmatisch verstandene innere Brücke nutzen können, um – pathetisch gesagt – für eine kurze Zeit  zu einer stärkeren Einheit mit der Welt zu gelangen. Im Moment dieser Einheit und dem in der Welt ‚Aufgehen‘ vergißt der Fotograf sich selbst und den Alltag und kommt in einen Fluss des Fotografierens und des Sehens, der ALLEIN entscheidet über die Qualität seiner Bilder von der Welt. Sich konzentrieren und zugleich momentweise Abschied nehmen von dem eigenen EGO mit den zahllosen disparaten Wünschen,  Gedanken etc., sich allein auf das Fotografieren konzentrieren ohne Absicht und ohne Technikfixiertheit. ABER man muss auch – wie der chinesische Meister beschreibt – den ‚richtigen Baum finden‚, d.h. an die Orte gehen, die mit dem eigenen Inneren ’schwingen‘: Ein überzeugter Street- oder Reportagefotograf dürfte bei einem Hochzeitsfoto-Shooting kaum in innere Schwingungen geraten und umgekehrt. (;-)

Schaut man sich etwa die Videos an, die Sebastiao Salgado von seinen Fotosessions unter brasilianischen Ureinwohnern (im Rahmen seines fast 9(!) Jahre dauernden – nunmehr abgeschlossenen – großen Fotoprojektes GENESIS:) gemacht hat, dann kommt genau das Gefühl auf, das T. A. Hoffmann beschreibt, wenn ein Fotograf ‚im Fluss‘ bzw. im eigenen Rhythmus ist und in seiner Umwelt genauso wie in seiner fotografischen Tätigkeit aufgeht, sich harmonisch integriert. Die Besonderheit bei Salgado ist, dass er ohne jegliche Eitelkeit und Prätention alle Fotografierten stets noch in den Fotoprozess einbezieht (er zeigt den sehr interessierten Ureinwohnern die gerade gemachten Bilder auf dem Display) Sebastiao Salgado lebte sogar für mehrere Monate unter den Menschen, um diesen Prozess der Annäherung zu forcieren… Geduldig, sanft und ruhig nähert er sich den Menschen, beläßt sie meistens in ihrer Umgebung und singt dabei ein Liedchen… In Sagados eigenen Worten:

„In Genesis, my camera allowed nature to speak to me. And it was my privilege to listen.“ — Sebastião Salgado

Ganz anders und doch auch vom ZEN beeinflußt fotografierte Henri Cartier-Bresson: Im Fluss des Geschehens – aber von allen unbeachtet, weil im Geschehen aufgehend – zum ‚Schuss‘ kommen.  Mitte der 60er Jahre führte Eugen Herrigels Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ bei Henri Cartier-Bresson zu einer Veränderungen seiner Auffassung vom ‚fotografischen Schuss‘: 

  • Fotografieren ist wie Bogenschiessen: richtig zielen, schnell schiessen, abhauen.
  • Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele.
  • Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.
  • Fotografieren bedeutet den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen. Es ist eine Art zu leben.
  • Fotografieren bedeutet gleichzeitig und innerhalb von Sekundenbruchteilen zu erkennen – einen Sachverhalt selbst und die strenge Anordnung der visuellen wahrnehmbaren Formen, die ihm seine Bedeutung geben. Es bringt Verstand, Auge und Herz auf eine Linie.
  • „Nicht ich schieße ein Foto, sondern das Foto schießt mich.“
    Henri Cartier-Bresson

Wie werden die eigenen Fotos besser? Ist es eine Frage des Kameramodells, der Optik, der verwendeten Bildbearbeitungs-Software? Die Kameraindustrie will uns das glauben machen und bringt daher eine Neuheit nach der anderen auf den Markt. Kennen wir aber nicht zur Genüge die klischeehaften Bilder des betuchten Hobby-Fotografen, der alle hochwertigen Optiken und Kameramodelle sein eigen nennt und trotzdem bestenfalls nur Mittelmaß produziert – das jedoch superscharf? Möglichst noch mit Blitz in der schönsten Sonne, auf das kein Schatten seine Bilder verdunkeln möge. Sein Autofokus funktioniert hervorragend nicht jedoch sein Welt-Bild, sein Bild von sich und der Welt. „Es gibt nichts Schlimmeres als ein scharfes Bild von einer verschwommenen Bildidee“ (Ansel Adams)

Ich muss gestehen, dass ich schon lange kein 260-seitiges Buch mehr an einem Tag gelesen habe: Bei diesem Buch ist es mir aber gelungen: T. A. Hoffmann schreibt in seinem Buch keinen Satz, den er nicht gleichzeitig durch ein hochwertiges eigenes Foto ‚belegt‘, d.h. das Buch lebt durch eine Fülle an (gut gedruckten!)  Bildbeispielen und kurzen Bildinterpretationen neben den Fotos. Es liest sich ohne Anstrengung an einem Wochenende und trotz der Leichtigkeit, mit der man es ‚konsumieren‘ kann, bekommt man den Eindruck, dass T. A. Hoffmann einen tiefsinnigen und erfrischend untechnischen Praxisratgeber an die Hand gibt, der es einem ermöglicht, seine eigenen fotografischen Prozess auf eine ‚tiefere bzw. höhere‘ Ebene zu heben und dadurch gleichzeitig bessere Fotos zu machen.

Sehr zu loben ist auch der dpunkt.verlag, der die Veröffentlichung eines solchen Buchs gewagt hat und das noch in einer hervorragenden Druck- und Bindequalität.

Sorgen wir dafür, dass der befriedigende Prozess des Fotografierens als ein erhellender Weg zur Entschlüsselung unserer Innen- und Außenwelt gesehen wird, und nicht als ein technischer Prozess.

Sorgen wir dafür, dass sich die bisher aufgelegten Exemplare dieses hervorragenden Buches schnellstens verkaufen und eine 2. Auflage erscheinen kann.

Leseproben

1 Inhaltsverzeichnis (PDF)
2 Gedanken ueber Fotografie und Meditation (PDF)
3 Fotografie als direkte Erfahrung (PDF)
4 Street Photography (Kapitelauszug) (PDF)
5 Street Photography (Kapitelauszug 2) (PDF)

Buchbestellung

Das Buch ist im dpunkt.verlag erschienen, hochwertig gedruckt und mit festem Einband gebunden, hat 260 Seiten mit mindestens ebensovielen Fotos (S/W und Farbe)

36,90 Euro(D) / 38,00 Euro(A)
April 2013
260 Seiten, komplett in Farbe, Festeinband
ISBN: 978-3-86490-031-0 

Torsten Andreas Hoffmann