Nur EINS!

Welches Porträtobjektiv zwischen 50mm – 135mm ist ultimativ empfehlenswert, wenn man nur genau eines haben möchte?

Porträt mit Zeiss Otus 55mm bei Bl. 1.4 (Canon 5D MK 3)

In diesem Artikel geht es darum, welche Brennweite und welche Objektive am besten geeignet sind für die besonderen Anforderungen der Porträtfotografie.

Ein Fotokünstler bekommt auch mit einem 14mm Objektiv oder einem Makro beeindruckende Porträts hin. Mir geht es hier jedoch um 80-90% der Porträtfotografie, nicht um die Tatsache, dass man bei einem erweiterten Porträtbegriff auch Weitwinkel (Satire) und Supertele (Paparazzo) einbeziehen könnte…

Porträt mit Zeiss Distagon 35mm 1.4; Bl. 2.8 (Canon 5D MK 3)

Getreu meiner Devise, dass angesichts der neueren 24-50 Megapixelsensoren nur die besten Objektive gerade gut genug sind, habe ich mir kürzlich den lang gehegten Wunsch nach der ultimativen Porträtbrennweite erfüllt. Es wurde das Canon 85mm f/1.2 L USM II !

Porträt mit Nikon Nikkor 85mm f/1.4 Ais (adaptiert an Canon 5D MK 3)

Bevor ich mich jedoch zu diesem Kauf durchringen konnte, waren zahlreiche Erkundigungen erforderlich. Eine weitere Devise von mir ist nämlich, dass zuviel Equipment (also z.B. 3 Porträtobjektive 85, 105, 135) die Kreativität einschränkt, weil man mehr mit der Objektivwahl beschäftigt ist, als mit der Intention, möglichst viel aus dem einen vorhandenen Objektiv herauszuholen.

Dieses eine muss aber dann das wirklich beste seiner Klasse sein, (das man noch bezahlen kann) (;-)…

Somit geht es in diesem Artikel zunächst einmal darum, die ‚beste‘ Brennweite (im Vollformat-Bereich 50mm-135mm) für das Gros der Porträtfotografie ausfindig zu machen; danach um weitere wichtige Kriterien wie Lichtstärke, Bokeh, Farbwiedergabe, Makro ja oder nein etc..

Allgemeine Überlegungen zum Porträtbegriff

„Als Porträtfotografie bezeichnet man ein fotografisches Genre, bei dem Porträts von Lebewesen angefertigt werden; Motive sind meist Menschen, häufig werden auch Tierporträts erstellt. Ziel der künstlerischen Porträtfotografie ist meist das fotografische Herausarbeiten des charakteristischen Wesens des Motivs.“ (Quelle: Wikipedia)

„Die Absicht eines Porträts ist es, neben der Darstellung körperlicher Ähnlichkeit auch das Wesen bzw. die Persönlichkeit der porträtierten Person zum Ausdruck zu bringen. Daher zeigt das Porträt wegen der Bedeutung der menschlichen Mimik in der Regel das Gesicht der Person. Zahlreiche namhafte Maler, Grafiker und Bildhauer haben sich intensiv mit Porträts befasst und dadurch zur Entwicklung einer großen Darstellungsvielfalt beigetragen. Die Porträtmalerei hat seit dem 17. Jahrhundert sehr stark an Bedeutung gewonnen. Seit dem 19. Jahrhundert hat die Porträtfotografie die Porträtmalerei ergänzt und ist auch in die Filmkunst als szenisches Element eingegangen. Die Darstellungsformen werden bezeichnet nach der Anzahl der dargestellten Personen und besonders bei Einzelporträts nach dem Ausschnitt der Figur sowie nach deren Haltung zum Betrachter. Überdies werden Bildnisse auch nach ihrer Funktion oder thematischen Auffassung differenziert, z. B. als Herrscher- oder Kostümbildnis.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Portr%C3%A4t )

Der Porträtbegriff läßt sich weiter und enger fassen (sehr oft geht es dabei jedoch um die intime Darstellung eines Menschen (oder zweier Menschen, die eine enge Verbindung haben, z.B. Ehepaare).

Die beste Brennweite – 50 – 75 – 85mm – 100mm/105mm – 135mm?

Um die – für 80-90% aller Porträts – perfekte Porträt-Brennweite für das Vollformat herauszufinden, müssen wir zunächst die unterschiedlichen Darstellungsformen herausarbeiten: Wir klassifizieren die Porträtfotografie rein formal zunächst (https://de.wikipedia.org/wiki/Portr%C3%A4t)

A. Nach der Anzahl der Personen

  • A1. Einzelporträt: Eine einzelne Person wird dargestellt. Dies ist der häufigste Typ des Porträts.
  • A2. Doppelporträt: Bei einem Doppelporträt werden zwei Personen in einem Bild dargestellt.
  • A3. Gruppenporträt / Familienporträt etc. – bleibt außen vor, da hier aufgrund der erforderlichen größeren Tiefenschärfe für Vollformat grundsätzlich eine andere Brennweite sinnvoll ist, nämlich 50mm oder 35mm)

B. Nach dem Ausschnitt

  • B1. Ganzfigur: Darstellung stehend oder sitzend. Als Skulptur auch Statue (Standbild) oder Statuette genannt.
  • B2. Kniestück: mit Einbeziehung der Knie, stehend oder sitzend.
  • B3. Hüftbild: Oberkörper bis zum Schritt
  • B4. Halbfigur: Oberkörper bis zur Taille, unter Einbeziehung der angewinkelten Arme mit den Händen.
  • B5. Bruststück: Kopf mit einem Großteil des Oberkörpers, Schultern und Armabschnitten.
  • B6. Schulterstück oder Büste: Die Schulteransätze sind mit einbezogen und das Porträt endet auf Achselhöhe.
  • B7. Kopfbild: Darstellung mit dem Hals (Halsabschnitt), ohne jeglichen Teil des Rumpfes.

C. Umfeld / Bildausschnitt allg.

  • C1. Der Mensch wird in seinem (z.B. beruflichen oder häuslichen oder feiertäglichen) Umfeld meist mit besonderer (Berufs-, /Hochzeits-)Kleidung in voller Größe abgebildet. (fotografisch bedeutsames Beispiel: August Sanders Porträts „Menschen des 20. Jahrhunderts.“; fotografisch unbedeutsam, wirtschaftlich gesehen bedeutsam die Gattung der gestellten Hochzeitsfotos, Kinderfotos, Familienfotos etc.)
  • C2. Ein Mensch (oder zwei enger zusammengehörige Menschen) wird in Halbfigur-Darstellung (Oberkörper) abgebildet
  • C3. Ein Mensch wird ausschließlich  mit seinem Kopf (bis max. Schulterpartie) abgebildet (Beispiel: Herlinde Koelbl: Jüdische Portraits: Photographien und Interviews.)
  • C4. Gruppenporträts lasse ich außen vor, weil diese eher eine kürzere Brennweite (z.B. 35mm oder 50mm) erfordern.

Warum 85mm beim KB-Vollformat für mich die erste Wahl darstellt

Will oder kann man nur ein Objektiv für Porträts einsetzen, dann empfehle ich für KB-Vollformatkameras die Brennweite 85mm.
Was spricht für 85mm und gegen 100mm bzw. 135mm: Einmal die – meist – höhere Lichtstärke (das neue Nikon AF-S Nikkor 1,4/105 mm E ED ist eine – extrem teure – Ausnahme). Bei 100 mm bzw. 135 max. 1.8 (meist 2.0 oder 2.5 bzw. 2.8), bei 85mm häufig 1.4 und sogar 1.2)

Des weiteren die geringere Verwacklungsgefahr. Dann kommt noch der optimale Abstand zum Porträtierten hinzu: Er soll weder zu weit (wie bei einem 200mm Objektiv) noch zu nah (wie bei einem 35mm oder 50mm) sein. Warum ist der optimale Abstand zum Porträtierten wichtig? Es soll einerseits Nähe zwischen dem Fotografen und dem Porträtierten hergestellt werden (damit das Porträt möglichst authentisch wirkt und die Stimmung gut ist), andererseits darf diese Nähe nicht als aufdringlich empfunden werden:

Sicherheitsabstand zwischen Menschen (im mitteleuropäischen Raum) ohne aufdringlich zu wirken https://weblog.careesma.at/2014/06/die-richtige-distanz/

  • A. öffentlicher / gesellschaftlicher Distanz: ca. 3m (z.B. gewahrter Sicherheitsabstand zu fremden Menschen auf der Strasse)
  • B. Soziale Distanz:  1,20 bis 3,60 Metern (Distanz die bei Gesprächen als angenehm empfunden wird)
  • C. Persönliche Distanz: halber Meter bis 1,20 Meter (Distanz zu bekannten/vertrauten Menschen, mit denen aber Körperkontakt nicht die Regel ist)
  • D. Intime Distanz: weniger als 50cm (nur bei sehr gut bekannten und vertrauten Menschen, die auch Körperkontakt zulassen)

Aus diesen Tatsachen können wir nun die Brennweite herausfiltern, die im Bereich von 0,9 m-3,50 die u.g. formalen Porträtausschnitte (von Kopfbild bis Halbfigur) abdeckt, ohne dem Porträtierten zu nah bzw. zu fern zu sein.

Gegenstandsweite

https://www.bodovanlaak.de/photo/Berechnungen/Gegenstandsweite.aspx

Schärfentiefe

https://www.erik-krause.de/schaerfe.htm

Formatfüllendes Abbild (mit 10cm Rand)

Minimale Tiefenschärfe + minimale Entfernung = maximales Freistellungspotential

Beispiel Kopfbild (30cm)

  • 50mm: Entfernung: 0,51m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 0,8 cm)
  • 75mm: Entfernung: 0,77m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 0,81 cm)
  • 85mm: Entfernung: 0,87m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 0,8 cm bei Bl. 1.2: 0,67)
  • 100mm: Entfernung: 1,03m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,0: 1,15 cm)
  • 105mm: Entfernung: 1,08m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,5: 1,44 cm)
  • 135mm: Entfernung: 1,38m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,8: 1,6 cm bei Bl. 2,0: 1,13cm)

Beispiel Kopfbild (35cm)

  • 50mm: Entfernung: 0,59m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 75mm: Entfernung: 0,89m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,09 cm)
  • 85mm: Entfernung: 1,00m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,07 cm bei Bl. 1.2: 0,9 cm)
  • 100mm: Entfernung: 1,18m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,0: 1,53 cm)
  • 105mm: Entfernung: 1,24m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,5: 1,93 cm)
  • 135mm: Entfernung: 1,59m (Tiefenschärfe bei Bl. 2,8: 2,15 cm bei Bl. 2,0: 1,52cm)

Beispiel Schulterstück (50cm)

  • 50mm: Entfernung: 0,82m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 75mm: Entfernung: 1,23m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 85mm: Entfernung: 1,40m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 100mm: Entfernung: 1,64 (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 105mm: Entfernung: 1,73m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)
  • 135mm: Entfernung: 2,22m (Tiefenschärfe bei Bl. 1.4: 1,08 cm)

Beispiel Halbfigur: (80cm)

  • 50mm: Entfernung: 1,28m
  • 75mm: Entfernung: 1,93
  • 85mm: Entfernung: 2,18
  • 100mm: Entfernung: 2,57
  • 105mm: Entfernung: 2,70
  • 135mm: Entfernung: 3,47

Beispiel Hüftbild: (100cm)

  • 50mm: Entfernung: 1,59m
  • 75mm: Entfernung: 2,39
  • 85mm: Entfernung: 2,71
  • 100mm: Entfernung: 3,19
  • 105mm: Entfernung: 3,35
  • 135mm: Entfernung: 4,30

Beispiel Ganzfigur: (170cm)

  • 50mm: Entfernung: 2,67m (Tiefenschärfe bei Bl. 1,4: 23,8 cm bei Bl. 2,0: 33,7cm)
  • 75mm: Entfernung: 4,01m (Tiefenschärfe bei Bl. 1,4: 23,8 cm bei Bl. 2,0: 33,7cm)
  • 85mm: Entfernung: 4,54 (Tiefenschärfe bei Bl. 1,2: 20 cm bei Bl. 1,4: 23,8cm)
  • 100mm: Entfernung: 5,35 (Tiefenschärfe bei Bl. 2,8: 47,8 cm bei Bl. 2,0: 33,7cm)
  • 105mm: Entfernung: 5,61 (Tiefenschärfe bei Bl. 2,5: 42,4 cm bei Bl. 1,8: 30cm)
  • 135mm: Entfernung: 7,22 (Tiefenschärfe bei Bl. 2,8: 47,7 cm bei Bl. 2,0: 33,7cm)

Somit erfüllt die 85mm-Brennweite die Standard-Anforderungen an die ‚richtige Distanz‘ (ca. 90cm bis 3 m) bei Objekten in der Größe von 30cm (Kopfbild) bis ca. 100cm (Hüftbild) am ehesten.

Bei Ganzfigurporträts (1,50-1,80) bietet sich eher ein lichtstarkes 50mm 1.4 oder 1.2 an, da andernfalls die erforderliche Entfernung zum Porträtierten zu groß wird und keine persönliche Nähe mehr aufgebaut werden kann.

„Porträtobjektive mit Brennweiten zwischen etwa 80 mm und 105 mm, teilweise auch bis 135 mm (alle bei Kleinbildkameras) werden aufgrund der verringerten Schärfentiefe und der als angenehm verzerrungsfrei, aber noch nicht als flach empfundenen Abbildung menschlicher Gesichter gerne für die Porträtfotografie verwendet, um das Gesicht oder die Person aus dem Hintergrund herauszulösen. Objektive dieses Brennweitenbereichs können bei normalen Lichtverhältnissen meist noch problemlos ohne Stativ benutzt werden.
Typische Portraitbrennweiten sind 85 mm (diagonaler Bildwinkel 28° 30′), 100 mm (diagonaler Bildwinkel 24°).“
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Teleobjektiv )

„Brennweite und Bildwinkel
Porträts oder Brustbilder von Menschen wirken besonders natürlich, wenn sie mit einem Arbeitsabstand etwa im Bereich zwischen deutlich über einem und etwa drei Metern erstellt werden, also in einem Abstand, in dem auch die normale, alltägliche Interaktion mit anderen Menschen stattfindet. Für ein formatfüllendes Porträtfoto ergibt sich hieraus ein Bildwinkel zwischen etwa 15 und 30°, deutlich kleiner als der von typischen Normalobjektiven mit etwa 45 bis 55°.
Während mit Normalobjektiven durchaus gute Porträtfotos gelingen können, sind Weitwinkelobjektive für klassische Porträtaufnahmen ungeeignet, da der Arbeitsabstand für ein formatfüllendes Porträt sehr klein wird und es dadurch zu einer starken Verzeichnung („Mondgesicht“ bzw. große Nase) kommt. Auch ein Freistellen durch Unschärfe vor unruhigem Hintergrund ist mit kurzen Brennweiten schwierig oder unmöglich.
Im Bereich der Kleinbildkameras (mit einem Kleinbildformat 36 x 24 mm) haben typische Porträtobjektive deshalb eine Brennweite zwischen etwa 80 und 135 mm. Es sind sogenannte „leichte“ oder „kleine“ Teleobjektive. Bei diesem Brennweitenbereich wird die Darstellung als angenehm verzerrungsfrei empfunden, aber noch nicht als „flach“, wie bei einem Teleobjektiv längerer Brennweite bzw. kleinerem Bildwinkel. Bei Mittelformatkameras verwendet man für Porträtaufnahmen in Abhängigkeit vom größeren Aufnahmeformat längere Brennweiten, während bei den kleineren Sensoren digitaler Spiegelreflexkameras entsprechend dem Formatfaktor kürzere Brennweiten eingesetzt werden.“
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Portr%C3%A4tobjektiv )

Hohe Lichtstärke für ein extremes Freistellungspotential

Zunächst möchte ich einige grundlegende Kriterien nennen, die mir gerade wegen des bei Porträts notwendigen Freistellungspotentials wichtig sind:

– Mind. Bl. 2.0 bei 75-85/90mm (besser 1.8, 1.4 oder am besten 1.2)
– mind. Bl. 2.8 bei 100mm (besser 2.0 oder 1.8)

Diese Mindestöffnungen sind m.E. oft erforderlich, um ein gutes Freistellungspotential zu erreichen. Großes Freistellungspotential bedeutet nicht per se, dass ein Porträt mehr ‚Tiefe‘ erhält, denn manchmal zeigen Porträts von Menschen in Ihren Lebensumfeldern (s. Bilderserie von Wille Wernsen) mehr über den Charakter der Porträtierten als es ein extrem freigestelltes nahes Kopfporträt könnte. In der extremen Freistellung steckt aber das POTENTIAL einer fotografischen Verdichtung bzw. einer suggestiven Bildwirkung des Einzelgesichts, die für ein Umgebungsporträt schwer zu erzielen ist. Umgebungsporträts mögen ‚objektiver‘ sein; extrem freigestellte Kopfporträts wirken dagegen ohne Zweifel suggestiver und intimer.

Wie wichtig sind Schärfe und Auflösungsvermögen einer Porträtoptik

Welche Porträts rühren uns am stärksten an? Sind es die ’schärfsten‘? Sicher nicht.

„Mich belustigt immer die Vorstellung, die sich manche Leute von der photographischen Technik machen und die in ihrer maßlos gesteigerten Vorliebe für scharfe wie gestochene Bilder zum Ausdruck kommt.“ (Henri Cartier-Bresson)

Schärfe der Optik (besonders im Bildzentrum) ist zur gesteigerten räumlichen Wirkung (Abheben des Gesichts vom unscharfen Background) sehr bedeutsam, noch wichtiger für die Bildwirkung eines Porträts ist aber m.E. der authentische Gesichtsausdruck der Porträtierten sowie Farbwiedergabe und Umgebungszeichnung der Optik. Deshalb sind bei bestimmten Meistern der S/W-Porträtfotografie alte Mittelformatoptiken so begehrt… – die geringe Schärfentiefe des Mittelformats zusammen mit der spezifischen Umgebungszeichnung dieser wunderbaren Optiken – häufig von Schneider-Kreuznach, Rodenstock, Zeiss etc. – schaffen zusammen mit der Nachbearbeitung Porträts von einzigartiger Atmoshäre (z.B. Stephan Vanfleteren (https://stephanvanfleteren.com/) mit seiner alten Hasselblad, die Fotograf David Bailey, Helmut Newton, Vivian Maier u.a. mit ihrer zweiäugigen Rollei etc. …)

Bokeh & Umgebungszeichnung

Ein perfektes, d.h. in diesem Fall gleichmäßiges, weiches Bokeh ist von großer Bedeutung, um nicht von dem wichtigsten – den charakteristischen Gesichtszügen des Porträtierten – abzulenken. Ein unruhiges, quirliges, nervöses Bokeh mag in anderen fotografischen Zusammenhängen seine Funktion haben: Bei Porträts würde es nur die Bildwirkung des Gesichts abschwächen.

Makros als Porträtobjektive – ja oder nein?

Das hängt für mich definitiv vom Bokeh, von der Art der Schärfe im mittleren Entfernungsbereich und von den Farben ab; die besondere ‚Makroschärfe‘ kann oft störend wirken (z.B. wenn ein eher softer Look gewünscht ist) – sie kann aber auch als Stilmittel eingesetzt werden (s. Lee Jeffries).  Es gibt einige Makros, die sehr gutes Bokeh auch im mittleren Entfernungsbereich liefern (Zeiss Makroplanar, das alte Canon EF 100mm ƒ/2.8 Macro (non-USM) etc.)

Superschärfe, brilliante Farben mit viel Punch (z.B. vom Zeiss Makroplanar) sind für Blumen-, Insekten- und andere Makroaufnahmen sowie für Produktfotos, Landschaft und Architektur oft ein PLUS; dagegen sind diese Eigenschaften für Porträts zum großen Teil suboptimal.  Gerade um nicht vom ‚Wesen‘ des Porträtierten zu stark abzulenken – falls nicht ohnehin S/W bevorzugt wird – sind besonders natürliche Hauttöne und eine zugleich erstklassige und dezente Farbwiedergabe gefragt; kräftige Farben führen leicht zu häßlichen Rotstichen in Gesichtern; feinste Abstufungen bei den gesichtstypischen Merkmalen (Haarfarbe, Haut, Makeup etc.) sind erforderlich, um z.B. ein Farbporträt gelingen zu lassen. Hohe – ja höchste Lichtstärke ist oft notwendig, damit natürliche Porträts bei schwachem Umgebungslicht ohne Blitzeinsatz gelingen.

Bis auf das Zeiss Makroplanar 100mm 2.0 (Milus und Classic) und das seltene Olympus Zuiko MC MACRO 90mm f/2.0 haben Makros i.d.R. keine höhere Lichtstärke als 2.8, wodurch das Freistellungspotential eingeschränkt ist. Der hohe Schärfekontrast eines Makros betrachtet das menschliche Gesicht eher mikroskopisch und nicht ‚menschlich‘. Damit wird u.U. abgelenkt von dem eigentlichen ‚Wesen‘ des Porträtierten, der ja auch von einem anderen Menschen und nicht von einem Mikroskop betrachtet wird. Unerwünschtes Ergebnis kann dann sein, dass etwa die fast surreale Schärfe eines Brillengestells auf der Nase des Porträtrierten von diesem selbst ablenkt.

Ein Makro ist unter Berücksichtigung dieser Eigenheiten daher für mich kein ideales Porträtobjektiv! Was natürlich nicht heißt, dass man mit Makros nicht auch tolle Porträts machen kann. Trotzdem fallen Makros bei der Auswahl der besten Porträtoptiken für mich komplett heraus.

Bedeutung von Kopfhaltung, Blick, Tageszeit

Abgesehen von den technischen Qualitäten der Optik sind Kopfhaltung und Blick für ein Porträt entscheidend. Auch die allgemeine Stimmungslage oder selbst die Tageszeit können maßgeblichen Einfluss auf ein Porträt haben.

Eine Frontalansicht mit einem direkten Blick wirkt i.d.R. sehr suggestiv und intim und kann – auf die Spitze getrieben – sogar verstören. Ich denke, es kann eine interessante Übung für Porträtfotografen sein, die unterschiedliche Bildwirkung von Kopfhaltung und Blick bei ein und demselben Porträtieren zu testen. Der Blick von unten, von oben, Halbprofil, Dreiviertelprofil oder Viertelprofil, reine Profilansicht, Dreiviertelansicht von hinten etc.: Jede dieser Sichtweisen kann zu einer völlig anderen Stimmung führen.

Dazu kommt noch die aktuelle Fitness bzw. Allgemeinbefindlichkeit. Das menschliche Gesicht ist von einer enormen Ausdrucks-Vielfalt: Zwischen einem ‚müden Morgengesicht‘ oder dem wachen perfekt geschminkten Mittagsgesicht liegen 2 Welten.

Feeling zwischen Fotograf und Porträtiertem

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein bedeutungsvolles Porträt ist die vertrauensvolle Beziehung zwischen Porträtiertem und Fotografen.

Nehmen wir als Beispiel die Mode-Porträts von David Bailey: Die wichtigste Grundlage war die Beziehung, die David Bayley zunächst zu seinen Models aufgebaut hatte; diese Beziehung steuerte den möglichen intimen Abstand zwischen ihm und seinen Models, aber auch das ‚unsichtbare Dazwischen‘. Nicht selten war er mit ihnen intim befreundet: Allein dadurch gewann der Blick seiner Models eine viel tiefergehende menschliche Substanz wodurch seine Fotos eine neue Tiefe erhielten. Wir kennen auch die Beziehung von Picasso zu vielen seiner Modellen…

Herlinde Koelbl antwortete in einem Interview auf die Frage, ob sich für ihre Portraits der Fotografierte entblößen solle:

„Das ist der falsche Ansatz. Ich will eine Geschichte über den Menschen erzählen. Seine Geschichte. Das gelingt nur im Dialog. […] Menschen öffnen sich nur, wenn sie glauben, dass der andere sie nicht dekuvrieren will. Es ist ein Miteinander. Der Porträtierte merkt, dass ich ihn annehme, nicht über ihn urteile. Ich gebe ihm Zeit, nicht funktionieren zu müssen, sondern sein zu können.“ (Herlinde Koelbl)

‚Lügen-Porträts‘ mit Verkaufs- und Repräsentationsfunktion, ’schönen Menschen‘ (Models) oder Prominente

Hochzeitsfotos, Chefs und ‚große Politiker‘ an ihrem Schreibtisch, Könige auf ihrem Thron, Bürger mit ihrer Familie oder vor ihren Autos, Häusern, Segelboooten; Promis bei Galas  u.v.m. – die Porträtfotografie degeneriert zum schönen Schein oder zur Verherrlichung mächtiger bzw. im Rampenlicht stehender Menschen. Immer enthalten diese Art von oberflächlichen Porträts Elemente der verschleiernden, maskenhaften Selbstdarstellung: Das breite, falsche Lächeln; der gespielte Ernst; das ‚prächtige‘ Hochzeitskleid: Man will etwas für andere darstellen, spielt eine Rolle. Mit dieser Art von Porträts wird unsere Welt geradezu überflutet – sie sind wichtiger Bestandteil der großen medialen Lüge, der wir ständig ausgesetzt sind.

Models und Prominente haben nur EIN Ziel: Sie wollen ihr Äußeres bzw. die mit ihnen assoziierten Produkte möglichst gewinnbringend am Markt verkaufen – dies geht nur unter Zuhilfenahme von Lügen – sprich Maskenbildnern, Makeup-Artisten, Photoshop etc.

Witzig zu beobachten, wie die größten Promis im Zuge Ihrer gigantischen Lebens- und Selbstlügen, die sie verbreiten (lassen) (deren Opfer sie aber auch selbst sind) – von Fressattacken, Alkohol- und Drogensucht sowie ihren Schönheitschirugen gezeichnet – im Laufe Ihres Lebens zunehmend monströsere Gesichter bekommen, die – unter Publicity-Gesichtspunkten – nur noch für Paparazzi-Fotos taugen. 

„Bitte porträtiere mich nicht – ich bin nicht schön genug!“ Leider lassen sich viele Menschen – in die Irre geleitet von diesem falschen Schönheitsideal – nicht gerne porträtieren, obwohl ihre Gesichter ausdrucksstärker sind als von jedem oberflächlichen Hollywood-Schönling. Hier ist Überredungskunst eines guten Fotografen angesagt. JEDES authentische menschliche Gesicht ist fotografisch gesehen interessanter und ’schöner‘, da wirklichkeitsnäher als sorgfältig geschminkte Pseudo-Schönheit.

Warum ich das Canon 85mm f/1.2 L USM II als eines der ultimativen Porträtobjektive ansehe?

Das Canon Porträtobjektiv 85mm f/1.2 L USM II ist ein reinrassiges Porträtobjektiv! Alles, was in etwa Kopfgröße hat und in mittlerer Entfernung mit dieser Linse aufgenommen wird, wird quasi ‚magisch‘

Nichts kann m.E. Bl 1.2 bei 85mm toppen.

– Äußerst interessante Farbatmoshäre auch bei ‚grauem Himmel‘ sprich: bei abgedäpftem indirekten Licht
– Höchstes Freistellungspotential
– Perfektes Bokeh
– Brilliante, natürliche Farbwiedergabe
– Punktschärfe in der Bildmitte bereits bei Offenblende
– Spezialisiert auf Offenblendeneinsatz

Während z.B. das Zeiss Makroplanar 100mm von den Farben und der Schärfe her ‚aggressiver‘ /’kontrastreicher‘ mit den Gesichtern umgeht (was auch manchmal Sinn machen kann),
funktioniert das Canon 85mm 1.2 II bei Bl. 1.2 eher wie ein sehr selektiv ’scharfstellendes‘ menschliches Auge selbst; die Farben sind äußerst dezent und natürlich.

Oft ist ein 3-D-Effekt vorhanden; hier einige Beispiele (bitte die Bilder anklicken, um zur Großansicht zu gelangen):

Auch das Zeiss Makroplanar ist für Porträts geeignet und die Bilder wirken sehr plastisch.
Bei dem Makroplanar (oder vergleichbaren Makros) sieht es jedoch manchmal so aus, als würde die Haut mit einem Mikroskop betrachtet, also kein ‚menschliches Sehen‘; beim menschlichen Sehen werden sehr oft Schärfe abgemildert und Randbereiche ausgeblendet…

Liste der empfehlenswerten Porträtoptiken

Hier abschließend eine Liste bekannter und sehr guter 85mm (Vollformat-)Optiken (bitte schreibt mir an info@fotogemeinschaft.de, wenn ich eines vergessen haben sollte):

Noch mehr Detail-Informationen könnt Ihr  meiner Objektivtabelle der besten Optiken entnehmen, die für 10,- Selbstkostenpreis hier bestellt werden kann info@fotogemeinschaft.de

Canon:
Canon RF 85mm f/1.2L
Canon EF 85mm f/1.2 USM L II (Bokeh-King)
Canon EF 85/1.4 L IS USM
Canon EF 85mm f/1.2 USM L
(bis auf den langsameren AF genauso gut wie das II; laut xy sogar etwas schärfer)
Canon EF 85mm f/1.8 USM (besserer AF als die beiden 1.2; gute budgetschonende Lösung)
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Nikon
Nikon AF-S Nikkor 85mm f/1.4 G
Nikon MF-Nikkor 85mm f/1.4 MF (Ai-s) (Bokeh-King)
Nikon AF-S Nikkor 85mm f/1.8 G (herausragende Budgetlösung)
Nikon AF-Nikkor 85 mm f/1.4 D IF
Nikkor AF 1.8 85mm D
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Zeiss
Zeiss Milvus 85mm f/1.4  (Nikon ZF.2, Canon ZE etc.) – ‚das Otus für Arme‘
Zeiss Otus 85mm f/1.4  (Nikon ZF.2, Canon ZE etc.)
Zeiss Planar T* 85mm f/1.4 (Canon ZE, Sony ZA, Nikon ZF.2)
Contax Zeiss Planar T* 85mm f/1.4 (C/Y)
Sony Zeiss Batis 85mm f/1.8 mit Bildstabilisator
Zeiss Planar 1.2/85 Jubiläumsedition (Contax/Yashica-Bajonett – eine sehr seltene und überteuerte Sammlerlinse))
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Sigma
Sigma 85mm f/1.4 DG HSM | Art

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Leica
Leica-M 75mm ƒ/1.4 Summilux-M – Besonders gutes Bokeh (9 von 10)
Leica-R 80mm ƒ/1.4 Summilux-R
Leica-M Apo-Summicron-M 2/75mm ASPH
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Samyang 85mm f/1.4 Aspherique IF
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Pentax
SMC-FA 1.4 85mm 4.65 (4) = outstanding!
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85mm – Exoten-Tipps bzw. Vintage Objektive:
Asahi Pentax SMC Takumar 85mm f/1.8
Nikon Nikkor-H 85mm f/1.8 (NON-Ai – unvergütet)
Carl Zeiss Jena Biotar 75mm f/1.5
Carl Zeiss Jena Biotar 75mm f/1.4
Canon FD 85mm f/1.2 L
Canon FD 85mm f/1.2 S.S.C / Aspherical
Jupiter-9 85mm f/2
Carl Zeiss Jena Pancolar 80mm f/1.8 MC (electric)
Helios-40 85mm f1.5
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Exoten-Tipps bzw. Vintage Objektive: (Mittelformat)
Mamiya 80mm f/1.9 für die M645

Objektiv-Alternativen im Bereich 90-105mm sowie im Makro-Bereich:

Canon
Canon TS-E 90mm f/2.8
Canon EF 100mm f/2 USM
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Leica
Leica-R 90mm Summicron-R 1:2.0 Besonders gutes Bokeh (8 von 10)
Leica-M Apo-Summicron-M 2/90 ASPH. (Bokeh soll nicht so gut sein)
Leica-R 90mm Elmarit f/2.8 – E55 (sharper than the 90 summicron with equal bokeh and IMO better than the 105 Nikkors.)
LEICA-M 90mm f/2.5 Summarit-M
LEICA-M 90mm ELMARIT-M f/2.8
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Nikon
Nikon AF-S Nikkor 1,4/105 mm E ED (hat das Zeug zur Legende)
Nikon AF-Nikkor 105mm f/2 DC
Nikon MF-Nikkor 105mm 1:1.8 Ais
Nikon MF-Nikkor 105mm f/2.5 (Ai und Ai-s – Ai-s ist besser)
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Sigma

Sigma 105mm f/1.4 DG HSM | Art (‚Bokeh-Master‘)
Sigma 135mm f/1.8 DG HSM | Art

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Zeiss
Zeiss Contax Planar 100mm ƒ/2 (besser für Porträts geeignet als das Makroplanar)
Zeiss 135mm f/2 Milvus (und Classic)

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Exoten-Tipps bzw. Vintage Objektive bzw. Makros (90-105mm):
Olympus Zuiko 100mm ƒ/2.0 ED
Minolta AF 2.0 100mm 4.60 (3) = outstanding!
Canon FDn 100mm f/2
Nikon MF-Nikkor-P Auto 105mm f/2.5 Pre-AI (Sonnar-Konstruktion)
Nikon MF-Nikkor-Q Auto 135mm f/2.8 Pre-AI
Meyer Optik Görlitz Trioplan 100/2.8
Meyer Optik Görlitz Orestor 100/2.8

— Vintage-Makros
Olympus Zuiko MC MACRO 90mm f/2.0
Canon EF 100mm ƒ/2.8 Macro 4.57 (5) = outstanding! (non-USM – bestes Bokeh (10 von 10!!!))
Steinheil 100mm f2.8 Auto-Macro-Quinar
Vivitar Series 1 „Bokina“ (tokina) 90mm F2.5 Macro
—————-
Makros
Zeiss Makro-Planar Milvus T* 100mm f/2  (Nikon ZF.2, Canon ZE etc.)
Zeiss Makro-Planar Classic T* 100mm f/2  (Nikon ZF.2, Canon ZE etc.)
Leica-R APO Macro Elmarit-R 100mm f/2.8 (Bokeh nicht ‚porträtoptimiert‘; ansonsten eine Legende)
Canon EF 100mm ƒ/2.8 Macro USM
Canon EF 100mm f/2,8L IS USM Macro
Nikon AF-S Micro-Nikkor 105mm 1:2,8G VR Objektiv
Nikon AF-D Micro Nikkor 105mm F2.8D
Nikon Micro-Nikkor 105mm f/2.8 ais
Nikon Micro-Nikkor 105mm f/4 ai / Ai-s (Geheimtipp im Makrobereich; für Porträts ungeeignet))
Tamron AF 2.8 90mm SP Macro 4.49 (5) = excellent
Tamron AF SP 90mm f/2.8 Di VC USD Macro
Schneider PC-TS Makro-Symmar 4,5/90 HM für Canon EOS
Sigma AF 105mm f/2.8 EX HSM DG OS macro
Voigtländer SL 125mm f/2.5 Apo-Lanthar

Habe ich eines vergessen? Bitte ergänzt es in den Kommentaren…

Quellennachweise:

Artikel 1
https://neilvn.com/tangents/photo-session-various-85mm-lenses/
https://neilvn.com/tangents/informal-portrait-85mm-lens/
https://neilvn.com/tangents/review-zeiss-otus-85mm-f1-4-vs-canon-vs-nikon/
https://neilvn.com/tangents/85mm-best-lens-change-portrait-photography/

https://irvingphotographydenver.com/whats-photography-bag-canon-85lmm/

Artikel 2: